Torsten Liem
Eine Studie von Kiviniemi et al. von 2016 zeichnet ein weitaus differenziertes Bild der LCS-Pulsationen, als gemäß bisher durchgeführten Untersuchungen angenommen wurde [16]. Den Untersuchern ist es gelungen, mittels ultraschneller Magnetresonanzenzephalographie (UFMREG) drei unterschiedliche physiologische Mechanismen darzustellen, die die Pulsation des LCS beeinflussen. Neben kardialen und respiratorischen Pulsationen konnten auch Pulse im langsamen und sehr langsamen Frequenzbereich identifiziert werden.
Mittels der UF-MREG konnten drei koexistierende physiologische Pulsationsformen mit spezifischen Fließmustern differenziert werden. Die bereits bekannten kardiovaskulären Pulsationen vermitteln ein negatives MREGSignal, ausgehend vom basalen periarteriellen Raum um den Circulus arteriosus Willisii, und breiten sich zentrifugal mit einer positiven Signaländerung in die Hirnrinde aus.
Die ateminduzierten Signalveränderungen dominieren den Kortex entlang des perivenösen Sammelsystems und zirkulieren zentripetal in Richtung Hirnzentrum. Während der Inspiration steigt und während der Exspiration sinkt der venöse Ausstrom aus dem Hirn in das venöse Niederdruck-Drainagesystem Drainagesystem. Während der Einatmung reduziert sich das Blutvolumen in den Venen, steigt im perivenösen Raum an und ermöglicht damit den glymphatischen Ausstrom aus dem interstitiellen Gewebe. Die Ausatmung kehrt diese Effekte um: Der intrathorakale Druck steigt an, die Venen weiten sich zunehmend und der perivenöse Raum schließt sich, was zu einer verminderten Drainage des glymphatischen Systems führt; somit wird weniger LCS in den perivenösen Raum drainiert. Die dritte Pulsationsart im Hirn – sehr langsame („very low frequency“, VLF) und langsame („low frequency“, LF) Wellen – wurden in früheren Untersuchungen zum Teil als Aliaseffekte (Fehler in der Signalanalyse) kardiovaskulärer Pulsationen gedeutet. In der vorliegenden Untersuchung konnten sie jedoch als echtes unabhängiges Phänomen identifiziert werden. Es herrscht wissenschaftlicher Konsens darüber, dass niederfrequente Fluktuationen im BOLD-Signal („blood oxygen level dependent“) in funktional verbundenen Hirnregionen (oder Netzwerken) durch elektrophysiologische Aktivität gekoppelt mit neurovaskulärer Aktivität entstehen.
Die detektierten quasi-periodischen Pulsationen erinnern an vasomotorische Frequenzbereiche, die theoretisch die glymphatische Konvektion des Liquors beeinflussen könnten. Da der Druck der Arterienwand die Konvektion des Liquors in das Gehirn deutlich beeinflusst, müssten langsame Wellen im vasomotorischen Tonus, z.B. durch die Kontraktilität der glatten Muskelzellen in Gefäßwänden, die glymphatische Pulsation ebenfalls beeinflussen. Vasomotorische Wellen haben zwei verschiedene Frequenzbereiche mit einem gemeinsamen Power-Peak um 0,03 Hz. Die langsamere Vasomotoraktivität <0,03 Hz steht in Verbindung mit sympathischer und parasympathischer Aktivität, während die schnellere Komponente relativ exklusiv der parasympathischen Aktivität in der autonomen Kontrolle der Hirnzirkulation zugeordnet wird.
VLF- und LF-Wellen zeigen verschiedene raumzeitliche Muster: Die LFWellen haben homogene, weitläufige periodische Muster, während die VLFWellen eher quasi-periodisch auftreten und komplexe Ruhezustand-Netzwerk- Muster, wiederholt vermischt mit großflächigen Wellen, zeigen. Die LF scheint globale einheitliche Veränderungen innerhalb des Gehirns auszulösen, bindet jedoch mehr die weiße Substanz ein als die kardiorespiratorischen Pulsationen. Die VLF-Wellen zeigen weit ausgebreitete globale Signalveränderungen, gemischt mit alternierenden Ruhezustand-Netzwerk- Mustern und spezifischen Wellen, die sich in unterschiedliche Richtungen erstrecken. Die temporalen Fluktuationen der LF- und VLF-Wellen sind in der Hirnrinde gleichmäßiger, in den basalen CSF-Gebieten („cerebrospinal fluid“) eher komplex.
Drei Pulsationstypen
Kiviniemi et al. [16] beschreiben 3 Pulsationstypen:
- Kardiovaskuläre Pulsationen: Mit 0,8–1,2 Hz sind dies die schnellsten Pulsationen. Sie induzieren eine negative Veränderung des MREGSignals in den periarteriellen Regionen, die sich zentrifugal ausbreitet und das gesamte Gehirn abdeckt.
- Respiratorische Pulsationen: Mit etwa 0,3 Hz treten sie periodisch, hauptsächlich in den perivenösen Gebieten, auf und wirken zentripetal.
- Vasomotorische Wellen: Sie stellen den langsamsten Pulsationstyp im niederfrequenten Bereich (VLF 0,001–0,023 Hz und LF 0,023–0,73 Hz) dar und zeigen einzigartige raumzeitliche Muster parasympathischen und sympathischen Ursprungs.
Klinische Relevanz
Solche Studien könnten helfen, viele spekulative kraniale Ansätze bezüglich der Palpation von Körperrhythmen mit Nähe zur Metaphysik und religiöser Glaubensannahmen zu relativieren und sie in physiologische Diskussionen zu verorten. Palpationsstudien könnten klären, ob und inwieweit die Palpation von Rhythmen am Schädel objektivierbar sind. Studien von Nelson, Sergueef und Glonek in Bezug zu Traube-Hering-Meyer-Oszillationen weisen in die richtige Richtung [17, 18].
Die sehr langsame Wellen könnten möglicherweise der Palpationserfahrung von Beckers „long tide“ entsprechen [17]. Anhand persönlicher Palpationsstudien des Autors aus dem Jahr 2015 (Palpation am Schädel an 58 Patienten für je 5 Minuten, durchgeführt ohne striktes Studiendesign) wurden Rhythmen mit Werten zwischen 1,5 und 4 Zyklen pro Minute registriert. Vielleicht entsprechen diese den langsamen vasomotorischen Wellen. Zusätzlich wurden auch weitere Rhythmen am Schädel registriert, deren Frequenz respiratorischen Pulsationen und den sehr langsamen vasomotorischen Wellen ähnelten. Möglicherweise den respiratorischen Pulsationen zugeordnete Rhythmen bei der Schädelpalpation zeigten allerdings in der persönlichen Erhebung eher eine Frequenz von durchschnittlich etwa 13 Zyklen pro Minute.
Ob diese Palpationen von rhythmischen Erscheinungen am Schädel tatsächlich respiratorischen Pulsationen und vasomotorischen Wellen entsprechen ist, spekulativ. Eine Pilotstudie ist in Planung.
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