Depression ist die psychiatrische Erkrankung mit der höchsten Prävalenz und spielt im Gesundheitswesen eine große Rolle. Prävalenzstudien zeigen, dass 5% der US-Bevölkerung die Kriterien für eine Depression erfüllen, und 2 – 3% im Laufe ihres Lebens ernsthaft daran erkranken. Frauen werden dreimal häufiger als Männer für die Behandlung einer Depression vorstellig. Dies liegt nicht nur, wie häufig angenommen, an dem Verhalten, frühzeitiger Hilfe in Anspruch zu nehmen, sondern vielmehr an einer höheren Erkrankungsrate von Frauen im gebärfähigen Alter, was einen hormonellen Zusammenhang nahelegt. Daher werden das endokrine System, Neurotransmitter und das Immunsystem als zusammenarbeitende Mediatoren für Depressionen angesehen. Ebenso können aber auch Verhaltensänderungen dieses System beeinflussen und damit die Immunfunktion des Organismus. Negative Gemütszustände verringern Antikörperlevel, während in positiven Stimmungsphasen dieser Effekt umgekehrt ist: Antikörperspiegel steigen an, zum Beispiel für das Herpes-Simplex-Virus (HSV) 1 und 2 sowie für das Epstein-Barr-Virus (EBV). Psychologischer Stress beeinflusst zudem die Dauer und den Schweregrad von Erkrankungen – dies ist insbesondere für Herpesviren bekannt, aber auch für das humane Papillomavirus. Diese Beeinflussung lässt sich auch über die Proliferation der Leukozyten und die Interleukin 1, 2, 4 und 6 – Spiegel sowie Interferone beobachten, die bei negativen Gemütszuständen verringert sind. An dieser neuroimmunologischen Schnittstelle setzt die Theorie von Plotkin und Kollegen an. Sie stellen die Hypothese auf, dass durch die Berührung während der osteopathischen Behandlung Neuropeptide freigesetzt werden, die über die Bindung an Leukozyten die Zytokinproduktion stimulieren, die wiederum spezifisch auf den Hypothalamus und die Hypophyse wirken können. Damit wird der neurobiologische Regelkreis der Depression beeinflusst. Zur Überprüfung dieses Modells untersuchten Plotkin et al. den Einfluss von osteopathischer manipulativer Therapie (OMT) als Begleitmaßnahme zur psychiatrischen Standardbehandlung bei Frauen mit Depression.
17 Frauen im Alter zwischen 20 und 50 Jahren vor der Menopause mit neu diagnostizierter Depression wurden randomisiert in eine Behandlungsgruppe (n = 8) oder eine Kontrollgruppe (n = 9) eingeteilt. Alle Teilnehmerinnen wurden zur Baseline, nach 4 Wochen und am Ende des Interventionszeitraumes strukturell osteopathisch untersucht. Nur in der Behandlungsgruppe schloss sich an die Examination eine befundorientierte OMT-Behandlung an. Zu Beginn und am Ende der Studie wurden Blutproben entnommen und der Zung Depression Score (ZDS) berechnet. Die obligatorische psychiatrische Behandlung bestand aus der Einnahme des Antidepressivums Paroxetin (20mg/Tag) sowie einer wöchentlichen, standardisierten 30-minütigen Psychotherapie-Sitzung.
Nach dem 8-wöchigen Behandlungszeitraum wurde unter allen Teilnehmerinnen eine signifikante Verbesserung ihres mentalen Status beobachtet: 100% der Patientinnen aus der OMT-Gruppe zeigten einen ZDS, der als „normal“ eingestuft werden konnte. In der Kontrollgruppe erfüllten nach der Standardtherapie immerhin noch 70% der Patientinnen die Kriterien für eine moderate Depression. Es wurden keine signifikanten Unterschiede oder Trends in den Zytokin- (IL-1, IL-2, IL-4, IL-6 und IL-10) oder Antikörperspiegeln Anti-HSV-1, Anti-HSV-2 und Anti-EBV beobachtet, weder inter- noch intraindividuell. Ebenso konnten keine klaren Dysfunktionsmuster festgestellt werden; die Anzahl und Lokalisation der osteopathischen Dysfunktionen variierten stark. Allerdings beobachteten die Autoren, dass sich der Primäre Respiratorische Mechanismus (PRM) innerhalb der OMT-Gruppe bei 6 Patientinnen zum Studienende auf 10 Zyklen/min erhöhte, in der Kontrollgruppe nur bei einer Teilnehmerin. Die Literatur beschreibt einen PRM von 10- 14 Zyklen/min bei Gesunden, während dieser bei psychiatrischen Patienten vermindert sein kann.1 Auch wenn der neuroimmunologische Ansatzpunkt der Osteopathie über die Blutwerte nicht bestätigt werden konnten, zeigen die Ergebnisse der Pilotstudie, dass OMT eine nützliche Zusatzbehandlung zur Linderung von Depression bei Frauen darstellen kann. Zugrundeliegende Mechanismen und die Reproduzierbarkeit dieser Ergebnisse müssen jedoch in weiteren Untersuchungen spezifiziert werden.
Referenz: Plotkin BJ, Rodos JJ, Kappler R, Schrage M, Freydl K, Hasegawa S, Hennegan E, Hilchie-Schmidt C, Hines D, Iwata J, Mok C, Raffaelli D. Adjunctive osteopathic manipulative treatment in women with depression: a pilot study. J Am Osteopath Assoc. 2001; 101(9): 517-523.
Online verfügbar unter: http://jaoa.org/article.aspx?articleid=2092700 (Zugriff am 8.12.2016)
1 Woods JM et Woods RH. A physical finding related to psychiatric disorders. J Am Osteopath Assoc. 1961; 60: 988-993.