[English version below]
KENNEN SIE SCHON DR. SABRINA CONINX?
Dr Sabrina Coninx ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Philosophie an der Ruhr-Universität Bochum. Unterstützt von der Deutschen Forschungsgesellschaft, forscht sie dort zu empirisch gestützter Philosophie im Rahmen von Schmerz, Emotionen, affektive Störungen und klinische Praxis. Sie ist Autorin des Buches „Experiencing Pain: A Scientific Enigma and Its Philosophical Solution“
Am 19. November können Sie Dr Sabrina Coninx, gemeinsam mit Dr Peter Stilwell, mit einem Vortrag auf unserer Online Conference 2021 sehen:
„Philosophische Überlegungen zu Schmerz, Personen und Praxis“
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Mehr über Dr Sabrina Coninx erfahren Sie in unserem Interview:
WAS WAR IHRE PERSÖNLICHE MOTIVATION, WISSENSCHAFTSPHILOSOPHIN ZU WERDEN?
Ich habe mich schon immer für die philosophischen Aspekte der Wissenschaft interessiert, in denen Konzepte und theoretische Annahmen erläutert und hinterfragt werden. Gleichzeitig wollte ich meine philosophische Arbeit auf aktuelle empirische Ergebnisse stützen und einen Beitrag zum wissenschaftlichen Diskurs leisten. Interdisziplinäre Kooperationen und Forschungsgruppen sind eine gute Möglichkeit, die Verbindungen zwischen Philosophie und Wissenschaft zu erkunden und zu nutzen.
WAS FASZINIERT SIE AN DER BEZIEHUNG ZWISCHEN PHILOSOPHIE UND DER BEHANDLUNG CHRONISCHER SCHMERZEN?
In der allgemeinen Schmerzforschung hat mich von Anfang an die Tatsache fasziniert, dass Schmerz ein so komplexes und vielschichtiges Phänomen ist. Im Hinblick auf die Schmerzbehandlung interessierte mich, welche theoretischen Annahmen über den Schmerz in Forschung und Praxis getroffen werden und auf welche Weise philosophische Theorien zu einer entsprechenden Debatte beitragen können. Ich denke, dass philosophische Annahmen über Schmerz eine zentrale Rolle in der Schmerzforschung und -behandlung spielen, ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht. Ein Interesse von mir ist es daher, diese Annahmen zu untersuchen, sie zu hinterfragen und empirisch und philosophisch fundierte Alternativen zu erkunden.
WAS KÖNNTEN EINIGE KLINISCH RELEVANTE ERGEBNISSE IHRER FORSCHUNG FÜR DIE OSTEOPATHIE SEIN?
Meine Forschung zielt in erster Linie darauf ab, einen empirisch fundierten Rahmen dafür zu schaffen, was Schmerz ist und wie er zustande kommt. Gleichzeitig hoffe ich, dass diese Arbeit auch einen Werkzeugkasten bereitstellen kann, um über Schmerzen nachzudenken und sie auf neue Weise anzugehen. In enger Zusammenarbeit mit Peter Stilwell untersuche ich unter anderem, welche praktischen Konsequenzen verschiedene theoretische Annahmen in der klinischen Anwendung haben können und wie unser eigener enaktiver Rahmen in dieser Debatte einzuordnen ist. Im besten Fall kann diese Forschung klinische Praktiker:innen dazu ermutigen, ihre eigenen theoretischen Annahmen über Schmerzen, ihre Verursachung und ihr Management sorgfältig zu prüfen. Unser Ziel ist es nicht, eine allgemeingültige Lösung zu präsentieren, sondern Impulse für neue Denkansätze zu geben und die methodischen und konzeptionellen Werkzeuge dafür bereitzustellen. Drei Aspekte sind für unseren eigenen Ansatz von zentraler Bedeutung. Erstens vertreten wir die Auffassung, dass bei der Behandlung von Schmerzen nicht nur nach einer zugrundeliegenden physiologischen Ursache gesucht werden sollte, sondern der Patient als Ganzes im Mittelpunkt stehen muss. Zweitens sollten chronische Schmerzen als ein dynamischer Prozess betrachtet werden, bei dem viele verschiedene Faktoren auf nichtlineare Weise zusammenwirken. Drittens argumentieren wir, dass chronische Schmerzen die Art und Weise, wie eine Person sich selbst, ihren Körper und ihre Umwelt wahrnimmt, grundlegend verändern. Die Schmerzbehandlung könnte den Patient:innen helfen, positive Optionen für Veränderungen zu erkennen und sich selbst als handlungsfähig zu betrachten und sich sinnvoll mit ihrer Umwelt auseinanderzusetzen.
KÖNNTEN SIE UNS EINEN KURZEN ÜBERBLICK ÜBER IHRE NEUESTE FORSCHUNGSARBEIT GEBEN UND WAS SIE BEI IHRER FORSCHUNG ÜBERRASCHT HAT?
Ich habe kürzlich an drei verschiedenen Arbeiten gearbeitet.
Erstens, in der kürzlich veröffentlichten Arbeit mit Peter Stilwell “Pain and the Field of Affordances – An Enactive Approach to Acute and Chronic Pain”, entwickeln wir einen enaktiven Ansatz für chronische Schmerzen und deren Behandlung. Wir konzeptualisieren die Unterschiede zwischen akutem und chronischem Schmerz sowie den Prozess der Chronifizierung im Sinne von Veränderungen im Feld der Affordanzen. Das heißt, in Bezug auf die von Schmerzpatienten wahrgenommenen Handlungsmöglichkeiten. Dabei wollen wir sowohl der gelebten Erfahrung der PatientInnen als auch der dynamischen Rolle von Verhaltenslernen, neuronaler Reorganisation und soziokulturellen Praktiken bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von Schmerz gerecht werden. Insbesondere wollen wir die Relevanz eines solchen enaktiven Rahmens als Heuristik für die Behandlung nachweisen.
Zweitens argumentiere ich in meinem demnächst erscheinenden Aufsatz “The Notorious Neurophilosophy of Pain: A Family Resemblance Approach to Idiosyncrasy and Generalizability” (Die berüchtigte Neurophilosophie des Schmerzes: Ein familienähnlicher Ansatz zu Idiosynkrasie und Verallgemeinerbarkeit), dass es nichts gibt, was allen Schmerzen und nur den Schmerzen gemeinsam ist, auch wenn sie uns subjektiv als eine phänomenologisch einheitliche Klasse von Phänomenen erscheinen mögen. Der Beitrag wirft dabei einen genaueren Blick auf die zentralen neuronalen Prozesse, die am Schmerz beteiligt sind. Gleichzeitig stimme ich nicht mit den eliminativen Ansätzen überein, die argumentieren, dass wir keine empirisch adäquaten und wissenschaftlich nützlichen Verallgemeinerungen über Schmerzen machen können. Im Gegensatz dazu vertrete ich eine Theorie, die die Variabilität und die Unterschiede zwischen wissenschaftlichen Debatten, Untersuchungen und Praktiken aufgreift und zu zeigen versucht, wie ein pragmatischer Kompromiss zwischen der Einzigartigkeit jedes einzelnen Schmerzfalls und der Notwendigkeit der Verallgemeinerbarkeit in der Wissenschaft gefunden werden kann.
Drittens diskutiere ich in meinem kürzlich veröffentlichten Aufsatz “A Multidimensional Phenomenal Space for Pain: Structure, Primitiveness, and Utility” (Ein mehrdimensionaler phänomenaler Raum für Schmerzen: Struktur, Primitivität und Nutzen) die Beziehung zwischen dem subjektiven Gefühl, das Schmerzen vereint und sie von anderen Erfahrungen unterscheidet, und den phänomenalen Eigenschaften sensorischer, affektiver und evaluativer Art, entlang derer Schmerzen typischerweise variieren. Ich verwende eine neue Perspektive, indem ich einen mehrdimensionalen phänomenalen Raum für Schmerzen konstruiere, dessen Struktur phänomenale Ähnlichkeiten und Unähnlichkeiten mittels räumlicher Distanz widerspiegelt. Im Mittelpunkt der Arbeit steht die Frage, ob der konstruierte phänomenale Raum sich als notwendig und hinreichend für Schmerzen erweist. Es wird gefolgert, dass es einen solchen Raum nicht gibt, dass aber Hinweise auf den mehrdimensionalen Phänomenalraum für philosophische und wissenschaftliche Diskurse dennoch von großem Nutzen sein können.
Was mich bei all diesen verschiedenen Projekten am meisten interessiert, ist, dass Schmerz komplex ist und dass es viele Bereiche gibt, in denen wir uns unserer eigenen Grenzen im Umgang mit Schmerz bewusst sein müssen. Das heißt aber nicht, dass wir dadurch zur Untätigkeit verdammt sind, sondern es sollte uns motivieren, Komplexitäten und Unsicherheiten zu akzeptieren und Wege zu finden, mit ihnen auf fruchtbare Weise umzugehen. Auch hier denke ich, dass der interdisziplinäre Austausch eine zentrale Rolle für ein solches Projekt spielt.
KÖNNEN SIE UNS ETWAS ÜBER IHREN VORTRAG AUF UNSERER DIESJÄHRIGEN ONLINE-KONFERENZ SAGEN, DER SICH MIT DEM THEMA “PHILOSOPHISCHE ÜBERLEGUNGEN ZU SCHMERZ, PERSONEN UND PRAXIS” BEFASSEN WIRD?
In den letzten Jahren haben die gesellschaftlichen und persönlichen Auswirkungen von Schmerzen und die Tatsache, dass es immer noch keine wirksamen Behandlungsmethoden gibt, Forscher:innen aus verschiedenen Disziplinen dazu veranlasst, neue Denkansätze zum Thema Schmerz und dessen Behandlung zu entwickeln. Dies ist auch der Ausgangspunkt meines gemeinsamen Vortrags mit Peter Stilwell, der sich auf drei zentrale Teile stützt. Zunächst wird aufgezeigt, welche philosophischen Annahmen noch immer die aktuelle klinische Praxis beherrschen und mit welchen Problemen sie verbunden sind. Der Schwerpunkt liegt dabei auf biomechanischen, fragmentierten und linearen Ansätzen zu Schmerz und Schmerzmanagement. Zweitens entwickeln wir eine enaktive Alternative, die der gelebten Erfahrung der Patienten und ihren wahrgenommenen Handlungsmöglichkeiten mehr Raum gibt, während sie sich im Prozess der Chronifizierung verändern. Gleichzeitig versuchen wir, der Pluralität und Komplexität heterogener und doch dynamisch miteinander verflochtener Aspekte gerecht zu werden, die zu Schmerzen und ihrer Chronifizierung beitragen können. Abschließend erkunden wir die konkreten Konsequenzen unseres enaktiven Ansatzes für die klinische Praxis.
MEHR INFORMATIONEN ZU UNSERER ONLINE CONFERENCE 2021 FINDEN SIE HIER
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DO YOU KNOW DR. SABRINA CONINX?
Dr Sabrina Coninx is a research associate at the Chair of Philosophy at the Ruhr University Bochum. Supported by the German Research Foundation, she conducts research there on empirically supported philosophy in the context of pain, emotions, affective disorders and clinical practice. She is author of the book “Experiencing Pain: A Scientific Enigma and Its Philosophical Solution.”
On November 19th, together with Dr Peter Stilwell, Dr Sabrina Coninx will give a lecture at our Online Conference 2021:
„Philosophical reflections on pain, persons and practice“
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Learn more about Dr Sabrina Coninx in our interview:
WHAT WAS YOUR PERSONAL MOTIVATION TO BECOME A SCIENTIFIC PHILOSOPHER?
I have always been interested in philosophical aspects of science in which concepts and theoretical assumptions are explicated and questioned. At the same time, I wanted to ground my philosophical work in recent empirical results and contribute to the scientific discourse. Interdisciplinary collaborations and research groups are a great way to explore and exploit the connections between philosophy and science.
WHAT FASCINATES YOU ABOUT THE RELATIONSHIP BETWEEN PHILOSOPHY AND CHRONIC PAIN MANAGEMENT?
In the general study of pain, I was fascinated from the beginning by the fact that pain is such a complex and multi-layered phenomenon. With respect to pain management, I was interested to see which theoretical assumptions about pain are made in research and practice and in which manner philosophical theories might contribute to corresponding debate. I think that philosophical assumptions concerning pain play a central role in pain research and management, whether we are aware of it or not. One interest of mine has therefore been to study these assumptions, to question them, and to explore empirically and philosophically informed alternatives.
WHAT COULD BE SOME CLINICAL RELEVANT OUTCOMES FOR OSTEOPATHS FROM YOUR RESEARCH?
My research primarily aims to provide an empirically informed framework of what pain is and how it is brought about. At the same time, I hope that this work can also provide a tool box to think about and approach pain in new ways. In close cooperation with Peter Stilwell, I study, among others, which practical consequences different theoretical assumptions can have in clinical application and how our own enactive framework is located within this debate. At best, this research might encourage clinical practitioners to carefully study their own theoretical assumptions about pain, its causation, and management. Our aim is not to present a universal solution, but to give impulses to think in new ways and to provide the methodological and conceptual tools to do so. Three aspects have been central to our own approach. First, we argue that addressing pain should involve more than looking for an underlying physiological cause and focus instead on the patient as a whole. Second, chronic pain should be considered as a dynamic process in which many different factors interact in non-linear ways. Third, we argue that chronic pain fundamentally changes the way in which a person perceives themselves, their body, and environment. Pain management could help patients to notice positive options for change and view themselves as capable of taking action and meaningfully engaging with their environment.
COULD YOU GIVE US A SHORT OVERVIEW TO YOUR LATEST RESEARCH PAPER AND WHAT SURPRISED YOU IN YOUR RESEARCH?
I have recently been working on three different papers.
First, in the recently published paper with Peter Stilwell “Pain and the Field of Affordances – An Enactive Approach to Acute and Chronic Pain”, we develop an enactive approach to chronic pain and its treatment. We conceptualize differences between acute and chronic pain, as well as the process of chronification, in terms of changes in the field of affordance. This is, in terms of the possibilities for action perceived by subjects in pain. As such, we aim to do justice to the lived experience of patients as well as the dynamic role of behavioral learning, neural reorganization, and socio-cultural practices in the generation and maintenance of pain. In particular, we aim to prove the relevance of such enactive framework as a heuristic in treatment.
Second, in my forthcoming paper “The Notorious Neurophilosophy of Pain: A Family Resemblance Approach to Idiosyncrasy and Generalizability”, I argue that there is nothing common to all pains and pains only, even if, subjectively, they may appear to us as a phenomenologically unified class of phenomena. The paper thereby takes a closer look at the central neural processes involved in pain. At the same time, I do not agree with eliminative approaches arguing that we cannot make any empirically adequate and scientifically useful generalizations about pain. In contrast, I defend a theory that takes up the variability and differences between scientific debates, investigations, and practices and tries to show how a pragmatic trade-off can be made between the uniqueness of each pain case and the need for generalizability in science.
Third, in my recently published paper “A Multidimensional Phenomenal Space for Pain: Structure, Primitiveness, and Utility”, I discuss the relation between the subjective feeling, which unites pains and distinguishes them from other experiences, and the phenomenal properties of sensory, affective, and evaluative character along which pains typically vary. I employ a new perspective by constructing a multidimensional phenomenal space for pain whose structure reflects phenomenal similarities and dissimilarities by means of spatial distance. At the center of the paper is the question whether the constructed phenomenal space proves necessary and sufficient for pain. It is concluded that there is no space of this kind, but that references to the multidimensional phenomenal space can still be of great benefit for philosophical and scientific discourses.
What is most interesting to me across all these different projects is that pain is complex and that there are many areas where we need to be aware of our own limitations in dealing with pain. However, the point is not that this condemns us to inactivity, but that it should motivate us to accept complexities and uncertainties and find ways to deal with them in a fruitful manner. Again, I think that interdisciplinary exchange plays a central role for such project.
CAN YOU GIVE US AN EXPLANATION ABOUT YOUR LECTURE AT OUR ONLINE CONFERENCE THIS YEAR, WHICH WILL TALK ABOUT „PHILOSOPHICAL REFLECTIONS ON PAIN, PERSONS AND PRACTICE“?
In recent years, the societal and personal impacts of pain, and the fact that we still lack an effective method of treatment, has motivated researchers from diverse disciplines to try to think in new ways about pain and its management. This is also the starting point of my joint lecture with Peter Stilwell which is based on three central parts. First, we identify which philosophical assumptions still dominate recent clinical practice and which problems they are associated with. The focus will be on biomechanical, fragmented, and linear approaches to pain and pain management. Second, we develop an enactive alternative that gives more space to the lived experience of patients and their perceived possibilities of action as they change in the process of chronification. At the same time, we aim to do justice to the plurality and complexity of heterogenous yet dynamically intertwined aspects that may contribute to pain and its chronification. Finally, we explore the concrete consequences of our enactive approach for clinical practice.
MORE INFORMATION ABOUT OUR ONLINE CONFERENCE 2021 YOU CAN FIND HERE